Neues Land…

neues Glück

Aktuelle Position: Valladolid, Pueblo Magico, Mexiko

Ich mag dieses Land: Alles ist bunt, fast jeder spricht Englisch, es kommt warmes Wasser aus der Leitung und es gibt gut sortierte Supermärkte. „Willkommen in Mexiko“ lächelt die Zollbeamtin am Flughafen und knallt den Einreisestempel in meinen Pass. Eine Busfahrt später sitze ich in einem Fischrestaurant und der kleine, extrem gut gelaunte Kellner serviert mir die größte Ceviche meines Lebens. Danach beziehen wir ein gepflegtes Apartment in einem großen Gebäudekomplex mit drei Pools auf dem Dach und Frank, der Concierge, erklärt uns alles mit großer Sorgfalt und noch größerer Freundlichkeit. Ganz bewusst haben wir als erste Station in Mexiko eine „Touristenhochburg“ gewählt, um uns zu akklimatisieren und alle notwendigen Annehmlichkeiten zu haben.

Ein Café schöner als das andere

Mein Beach-Cruiser

Die letzten Tage in Kolumbien waren einerseits entspannend, andererseits etwas langweilig und bei mir von einer starken Erkältung überschattet. Wir hatten einen Standort gewählt, von welchem aus wir Radtouren unternehmen wollten. Es stellte sich jedoch als fast unmöglich heraus, entsprechende Fahrräder sowie die notwendige Ausrüstung zu leihen. Zudem war ich nach den Turbulenzen der letzten Zeit nicht unbedingt fit für lange Touren mit vielen Höhenmetern in den Bergen. So verbrachten wir die Tage am Pool, mit Tischtennis spielen, ewig langen Frühstückseinheiten am Buffet und in unserem großzügigen Zimmer. Für mich war es eine Zeit des Reflektierens: Warum und wann habe ich die Freude, die Begeisterung, die Leichtigkeit während dieser Reise verloren? Habe ich etwas Ähnliches schon einmal erlebt? Was vermisse ich, was macht mein Leben aus, was ist der nächste Schritt? Ich wollte keinesfalls überstürzt handeln und die Heimreise in einem desolaten Zustand antreten, sondern erst einmal an den äußeren Umständen etwas verändern.

Friedhof in Playa del Carmen

Frühmorgens am Strand

Playa del Carmen auf der Halbinsel Yucatan in Mexiko entpuppt sich als kleines Juwel für uns. Wir leihen Fahrräder – sogenannte Beach Cruiser – und erkunden den ganzen Ort. Während des Transfers vom Flughafen habe ich aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Friedhof werfen können und wusste sofort: Den will ich besuchen! Wir cruisen lässig mit unseren Bikes dorthin und ich bin fasziniert. Meterhohe Figuren, überdimensionale Totenschädel und Wandmalereien bestimmen die Szenerie. Jedes Grab leuchtet in einer anderen, knalligen Farbe. Bei uns in Deutschland undenkbar! Weiter führt uns der Weg zu palmengesäumten Stränden mit glasklarem, türkisfarbenem Wasser sowie kleinen Cafés und Restaurants mit einer herrlichen Auswahl und Qualität. Im Supermarkt macht mein Herz einen großen Hüpfer: Endlich wieder Milchprodukte, nicht halb verdorbenes Gemüse und allerlei andere, lange vermisste Leckereien. Zum Sonnenuntergang setzen wir uns an die Mole beim Leuchtturm, wo sich sowohl Einheimische als auch Touristen treffen. Den Sonnenaufgang am folgenden Tag zelebrieren wir mit einem langen Strandspaziergang in der lauen Morgenluft. Die Stimmung erinnert mich an unsere erste Station dieser Reise, Rio de Janeiro. Auch hier in Playa wird viel Sport getrieben, das Leben in vollen Zügen genossen, es herrscht ein friedliches und entspanntes Miteinander.

Friedhofskapelle

Urnengräber

Ganz neu für uns sind die Cenoten. Alleine auf der Yucatan-Halbinsel gibt es etwa 3.000 dieser Wunderwerke der Natur. Cenoten sind Einstiegslöcher oder Zugänge zu mit Wasser gefüllten Grotten. Diese entstehen aus eingefallenen und aufgelösten Kalksteinsegmenten, die unterirdisch miteinander verbunden sind. Für die alten Maya waren Cenoten nicht nur eine lebenswichtige Wasserquelle, sondern vor allem heilige Portale zur Unterwelt. Heutzutage sind sie touristische Attraktionen, in denen man ein erfrischendes Bad nehmen, schnorcheln und sogar tauchen kann. Wir nehmen von Playa del Carmen aus ein „Collectivo“, einen öffentlichen Minibus, der uns für ein paar Pesos zur „Cenote Azul“ außerhalb des Ortes bringt. Mehr noch als über die Cenote staunen wir über die Riesen-Echsen, die sich überall tummeln. Es gibt sie in allen Formen, Farben und Größen. Abends essen wir für etwa sieben Euro „Rosti Pollo“, ein Brathähnchen frisch vom Grill. In Playa del Carmen kann man für ein Abendessen zwischen drei (Streetfood) und hundert Euro (Nobelrestaurant) ausgeben. Mexiko ist deutlich teurer als Kolumbien, dazu kommt der „Aufschlag“ der touristischen Gegend. Wir müssen uns erst wieder an das Preisniveau gewöhnen.

Fast schon ein Suchbild

Der Bademeister bei der Cenote

In Tulum besuchen wir die Maya-Stätte direkt am Meer. Kurz nach Sonnenaufgang cruisen wir – wieder mit Fahrrädern – zum Eingang und staunen nicht schlecht, dass wir zweimal löhnen dürfen: Einmal für den Nationalpark, den wir betreten und zusätzlich für die Ruinen. Aber es lohnt sich allemal: Die Stimmung am frühen Morgen ist bezaubernd, wir sind fast alleine und alle Strände hier im Nationalpark sind wahrlich paradiesisch. Die Gegend, in der wir in Tulum wohnen, gibt uns Rätsel auf: Es wird viel gebaut, es gibt allerlei Apartmenthäuser und Hotels, schön angelegte Fußgängerzonen, aber fast alle Restaurants und Geschäfte scheinen ihren Betrieb eingestellt zu haben. Das Ganze gleicht ein bisschen einer Geisterstadt und gibt mir zu denken. Abends setzen wir uns in ein hübsches Café mit Live-Musik und lassen den Tag ausklingen. Allzu spät wird es nicht, da wir am Folgetag bereits um 6:30 Uhr abgeholt werden. Wir haben einen Ausflug in ein naheliegendes Naturschutzgebiet gebucht. Unser Guide ist mehr als sympathisch und spricht neben Spanisch sowohl Englisch als auch Französisch fließend. Eine Maya-Familie serviert uns ein leckeres Frühstück, dann erkunden wir mit kleinen Booten drei Lagunen und die sogenannten Maya-Kanäle, welche die Lagunen und das karibische Meer miteinander verbinden. Durch einen der Kanäle schwimmen bzw. treiben wir hindurch und beobachten währenddessen Vögel. Unser Bootsführer zeigt uns Krokodile in allen möglichen Größen: Vom Baby bis zum ausgewachsenen Monster. Ganz besonders schätze ich die vielen wertvollen Informationen, die wir bei solchen Touren erhalten. Es ist toll, in einem unbekannten Land zu sein, wieder Neues zu erfahren, in andere Themen einzutauchen und somit auch frische Impulse zu erhalten.

Endlich Karibik mit Stränden

Maya-Ruinen am Meer

Ganz bewusst verbringen wir nie mehr als drei Nächte an einem Ort. Während meinen Überlegungen ist mir bewusst geworden, dass mich oft nach dieser Zeitspanne eine Location langweilt und ich anfange, herumzumäkeln. Im ersten Teil unserer Reise haben wir öfters mehrtägige „Pausen“ an einem Ort eingeplant, der sich dann als nicht optimal für einen längeren Aufenthalt herausstellte. Nun versuche ich, so wenig wie möglich zu planen und einfach spontan zu entscheiden. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits sind wir flexibel, können kurzfristig abreisen oder verlängern, andererseits sind manche unserer Wunsch-Destinationen bereits ausgebucht oder die Preise deutlich höher. Auch Aktivitäten werden ad hoc fix gemacht – je nach Stimmung, Energie und Gefühl. Nachdem ich aus verschiedenen Gründen zwei gebuchte Events sausen lassen musste, bin ich vorsichtig geworden. Diese neue Taktik bewährt sich bei unserem Abstecher nach Cobá. Nur eine Nacht verbringen wir im kleinen Hotel „Junglas y Estrellas“, um die höchste Maya-Ruine Mexikos zu besichtigen. Auf den ersten Blick wirkt alles traumhaft: Der kleine Pool, die vielen Naturmaterialien, das großzügige Zimmer. Wir legen uns abends ins bequeme Bett und los geht’s: Käfer fallen von der Decke, verfangen sich in meinen Haaren und krabbeln in die Klamotten. Du kannst Dir denken, wie tief und fest ich in dieser Nacht schlafe!?

Krokodil mittelgroß

Traumhafte Unterkunft in Cobá

Kein Schlaf kombiniert mit der Stille der Nacht bedeutet Zeit zum Hinspüren, zum Wahrnehmen, zum Beobachten. Während die Käfer munter weiter purzeln stelle ich fest, dass ich zwar alles Neue aufnehme und vom Kopf her einordne und bewerte, dass aber mein Herz nicht berührt wird. Diese tiefe, innere Begeisterung, die ich von anderen Reisen kenne, hat mich auf dieser Reise nicht „ergriffen“. Ich vermute, dass es an der Art und Weise des Reisens liegt. Ich liebe das Reisen mit dem VW-Bus, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Diese Arten des Reisens bedeuten viel Zeit in der Natur, viel Ruhe und eine große Unabhängigkeit sowie Selbstbestimmung. Im Jahr 2023 bin ich über neun Wochen alleine mit unserem Camper durch die Schweiz und Italien getourt. Ich konnte anhalten, wo ich wollte, einkaufen, was und wo ich wollte, mein Essen zubereiten, mitten in der Natur übernachten. Ich habe Berge erklommen, Seen durchschwommen, mit dem Fahrrad die Gegend erkundet. Alles, was ich liebe, war an Bord und abends konnte ich in mein kleines Refugio zurückkehren, mich stets in dasselbe, vertraute Bett legen. Momentan reisen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln, bewegen uns fast immer in der Zivilisation – in Ortschaften oder größeren Städten, schlafen ständig in anderen Betten und sind abhängig von Unterkünften, Supermärkten, Restaurants, Touranbietern und vielen weiteren Komponenten. Natürlich haben wir mit dem Gedanken gespielt, uns in Südamerika einen Camper zu kaufen oder zu leihen. In vielen Ländern ist es schlichtweg zu gefährlich, es gibt kaum eine Infrastruktur diesbezüglich (Campingplätze, Duschen, Ver- und Entsorgung) und wir sind zu wenig mit den Regularien und Gepflogenheiten vertraut.

Die höchste Maya-Ruine

Bootsfahrt durch den Maya-Kanal

Eine weitere Erkenntnis ist die, dass ich „satt“ bin. Satt an Eindrücken, Erfahrungen, Erlebnissen. Wir haben die Weite und Wildheit Patagoniens erlebt, die Hitze und den Staub der Atacama, Wasserfälle und Dschungel in Kolumbien. Ich habe so viele Szenen und Bilder in meinem Kopf, immer noch das kleine Mädchen aus der Karibik in meinem Herzen. Sonne und Wärme haben uns fast immer begleitet. Es ist normal, nach dem Aufstehen frühmorgens Shorts und ein Top anzuziehen – und das Anfang Februar. Eine Studienfreundin von mir macht sich auf den Weg in die Sonne und bei unserem Austausch spüre ich ihre Begeisterung, ihre Vorfreude, ihre Aufregung – und nehme wahr, dass ich mittlerweile „abgestumpft“ bin. Es wäre ein komplett anderes Erlebnis, von zuhause aus nach Mexiko zu reisen als von Kolumbien aus. Ich wäre wacher, aufmerksamer, neugieriger. Ich wäre dankbar, meinen Alltag unterbrechen zu können. Diesen Alltag vermisse ich aktuell: Das Unterrichten, mein Fitnessstudio, den Marktbesuch, Abende mit Freunden, meine Einkaufsrunde in unserer Stadt, meine Yogamatte und den Blick aus dem Fenster auf das nicht so schöne Gebäude gegenüber. Es ist wunderbar, loszuziehen und die Welt zu erkunden. Es ist genauso wunderbar, eine Heimat zu haben und zu wissen, wo man hingehört. Ohne Sentimentalität, ohne in meinen Emotionen zu versinken, ohne Drama und innere Zerrissenheit erkenne ich, dass es an der Zeit ist, diese Reise zu beenden. Aber zuvor werde ich noch ein kleines bisschen die mexikanische Sonne und Wärme sowie das karibische Meer genießen.

Jede Meile, die ich auf dieser Reise zurückgelegt habe, hat mich näher zu mir selbst geführt. Jede Begegnung war wertvoll, jede neue Erfahrung ein Geschenk, die Zeit mit Guido unbezahlbar. In Mexiko sind die „Muertos“, die Toten allgegenwärtig. Überall begegnen uns skurrile Skelette in bunten Farben. Diese Darstellungen sollen uns daran erinnern, dass wir ALLE denselben Weg nehmen müssen: Wir altern, wir werden sterben. Deshalb ist es wichtig, die Fülle des Lebens zu erkennen und das Leben zu feiern. Osho sagt: „Die Welt ist absolut neutral. Sie hat Dornen, sie hat Rosen, sie hat Nächte, sie hat Tage. Die Welt ist völlig neutral, ausgeglichen, sie hat alles. Jetzt hängt es von Dir ab, was Du wählst. So schaffen sich die Menschen Himmel und Hölle auf derselben Erde.“