Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus…

…im Verhältnis zu dem Mut, den man hat

Aktuelle Position: Heimathafen, Aalen, Germany

Seit knapp einer Woche bin ich zuhause. Keine Termine stehen an, ich habe viel Zeit. Wie zu Beginn unserer Reise sehe ich vieles in meiner Heimat mit neuen, mit anderen Augen. Einiges ist vertraut, manches fühlt sich fremd und ungewohnt an. Für diese Phase des Zurückkommens gibt es einen englischen Begriff: Repositioning – an den vertrauten Ort zurückkehren und sich neu zu positionieren.

Nur Netz, kein doppelter Boden

Magic morning

Mut ist notwendig, um gewohntes Terrain zu verlassen. Mut war notwendig, um diese Reise nach Südamerika anzutreten. Ich erinnere mich daran, wie es mir fast schon bange wurde, als ich vor der Reise daran dachte, die Wohnung so lange „alleine“ zu lassen, den Kühlschrank auszustecken, das Wasser abzudrehen. Was passiert, wenn eine Wohnung mehrere Monate unbewohnt ist? Verstaubt alles? Bilden sich unzählige Spinnenweben? Solche und ähnliche Überlegungen gingen mir durch den Kopf. Von vielen Seiten kam die berechtigte und besorgte Frage: Wie wird es danach mit Deiner Tätigkeit als Yogalehrerin weitergehen? Meinst Du, Deine Teilnehmer warten auf Dich? Die suchen sich doch einen anderen Kurs und einen anderen Lehrer. Auch in diesem Bereich habe ich mir Gedanken und Sorgen gemacht, lange abgewägt und gezweifelt. Mut war notwendig, um diesen Schritt zu gehen und darauf zu vertrauen, dass sich nach der Reise alles fügen wird.

So wichtig! Der eigene Weg

Enjoy! Always!

Keines der Länder, die wir bereist haben, kannten wir zuvor. Keiner von uns beiden war je in Südamerika gewesen. Ganz bewusst wollten wir, dass sich sowohl unser Leben als auch unser Horizont ausdehnen, dass wir weiße Flecken auf der Landkarte erkunden. Wir sind gesund und fit, bereit für Abenteuer und Anstrengung, neugierig auf Fremdes und Unbekanntes. Aus diesem Grund wollten wir keine bequeme, gemütliche „Wir überwintern in Südeuropa“-Reise, sondern eine Herausforderung. Dachte ich vor der Reise an Lateinamerika, so spürte ich in mir einen gewissen Respekt. Von meinem Aufenthalt in Guatemala im April 2024 wusste ich, dass dieser Teil der Welt laut, bunt und sehr fremd ist.

Weniger Mut war erforderlich, meinen materiellen Besitz für die Reise auf ein Minimum zu beschränken. 12 Kilogramm waren es bei Abflug, 12 Kilogramm waren es bei der Rückkehr. Je mehr wir besitzen, umso mehr müssen wir uns kümmern. Habe ich mehrere Autos, muss ich diese pflegen, instandhalten und dafür Zeit sowie Geld aufwenden. Nutze und benötige ich alle, macht es mir Freude, mich damit zu beschäftigen, so sehe ich darin kein Problem. Viele Menschen häufen eine Menge materiellen Besitz an und müssen dann eine große Menge ihrer Zeit und Energie dafür aufbringen, die sie vielleicht lieber für etwas anderes nutzen würden. Bereits bei meinen Reisen mit unserem VW-Bus habe ich erfahren, dass mir eine „Grundausstattung“ genügt, um vollkommen zufrieden zu sein.

Inspiration pur!

Reminder: Das Leben ist kostbar – die Zeit läuft!

Wie sehr sich das Leben für mich in den letzten 15 Wochen ausgedehnt hat, zeigt sich ganz deutlich jetzt. Diese ersten Tage in Deutschland sind genauso intensiv wie die Reise selbst. Die Stadt, die Landschaft, unsere Wohnung sind vom ersten Moment an so vertraut als wären wir nie fort gewesen. Einen großen Unterschied nehme ich hinsichtlich der Stimmung und Energie bei den Menschen in meiner Umgebung wahr und ich bin selbst überrascht, wie sehr mir das „zusetzt“. In den von uns bereisten Ländern fand das Leben hauptsächlich auf der Straße statt. Die Einheimischen waren beisammen, es wurde geplaudert, gelacht und auch mal gestritten. Vor allem in Kolumbien und Mexiko war es sehr leicht, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ein Lächeln, ein Gruß, Zeit für ein kurzes oder längeres Gespräch – auch wenn es manchmal ein „Verkaufsgespräch“ war – hatte jeder. Kaum jemand wirkte gehetzt und checkte ständig sein Smartphone oder seine Smartwatch. Ganz im Gegenteil: Für uns war es manches Mal zu langsam, zu entspannt, zu gesellig. Kaum in Deutschland angekommen sehe ich viel Anspannung und Müdigkeit in den Gesichtern. Die ersten Gespräche in der Heimat handeln von Krankheit, der grauen Winterzeit, der prekären politischen Lage, der instabilen Wirtschaft und ich spüre kollektive Erschöpfung sowie Unzufriedenheit. An was liegt das? frage ich mich.

Meine Laune ist dennoch unschlagbar gut! Ich feiere den ersten Einkauf, diese Fülle an Lebensmitteln und ihre herausragende Qualität. Die physische Nahrung ist unter anderem entscheidend für unsere Gesundheit, unsere Energie, unser Leben. Eine warme, isolierte Wohnung zu haben mit allen Annehmlichkeiten kommt mir wie purer Luxus vor. 13 Stunden schlafe ich in der ersten Nacht zuhause. Als ich einmal kurz aufwache erschrecke ich, weil es so dunkel und still ist. Auf der Reise hatten wir nachts fast nie Ruhe und meist keine Möglichkeit, den Raum optimal abzudunkeln. Vermutlich kann sich in der eigenen Heimat das Unterbewusstsein vollständig entspannen, Körper und Geist kommen zur Ruhe. So sehr ich das Unterwegssein liebe, so sehr ich mich an fremde Betten und verschiedene Umgebungen gewöhnt habe, so sehr genieße ich es, eine Heimat und mein Zuhause zu haben.

Mut, etwas Neues zu probieren

Für immer in meinem Herzen!

Die Tage sind ruhig und langsam. Jetzt ist der Moment, um die Segel neu zu setzen. Natürlich kann ich ohne Weiteres meinen Alltag, den ich vor der Reise gelebt habe, aufgreifen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, unser System hat es gerne bequem und greift auf das Vertraute zurück. Will ich das? Welche Gewohnheiten, welche Aspekte meines täglichen Lebens sollen bleiben und was darf sich ändern? Wo soll in Zukunft mein Fokus liegen? Für was möchte ich meine Energie einsetzen, und wichtiger noch – was schenkt mir Energie? Auch hierfür ist Mut notwendig: Nicht dem Mainstream zu folgen, sondern meinen eigenen Weg zu finden. Rumi sagt: „Do not sell your soul in exchange of anything. This is the only thing you have brought into this world. And the only thing you can take back.“ Viele Reisende, die ich getroffen habe, sind müde und ausgebrannt. Sie haben sich eine Auszeit genommen, um einen anderen, einen für sie besseren (Lebens)Weg zu finden. Ungewöhnlichen Lebensentwürfen, strahlenden Menschen und interessanten Projekten bin ich auf meiner Reise begegnet, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben und für mich eine Quelle der Inspiration sind.

Ich schließe dieses Kapitel in meinem Logbuch mit einer tiefen Dankbarkeit für unsere Reise und für alle Komponenten, die mir das Reisen ermöglichen. Es wird nicht meine letzte Reise gewesen sein. Zu hungrig, zu neugierig ist mein Geist. Es darf und soll in meinem Leben weit und frei bleiben, der Blick darf schweifen, das Herz vor Freude hüpfen. „Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben. Mut bedeutet, trotz aller Ängste ins Unbekannte zu gehen.“ (Osho) Möge ich weiterhin Mut haben, damit sich mein Leben ausdehnen kann.